Memento Mori

Chris­toph Quarch

Was Men­schen jeder künst­li­chen Intel­li­genz vor­aus haben, ist die Sterblichkeit

„Die Gefahr, dass Com­pu­ter wer­den wir Men­schen, ist nicht so groß wie die Gefahr, dass Men­schen wer­den wie Com­pu­ter.“ Die mah­nen­den Wor­te von Kon­rad Zuse, dem eigent­li­chen Erfin­der des Com­pu­ters, ver­die­nen, neu­er­lich Gehör zu fin­den. Die rasan­te Ent­wick­lung gene­ra­ti­ver Algo­rith­men, die Tex­te auf­set­zen, Musik kom­po­nie­ren oder Bil­der erzeu­gen, zeigt deut­lich, zu wel­chem Grad sich Com­pu­ter bereits mensch­li­chen Fer­tig­kei­ten ange­nä­hert haben. Weni­ger klar erkenn­bar ist, wie sehr die von Zuse beschrie­be­ne sehr viel grö­ße­re Gefahr digi­ta­ler Tech­no­lo­gien die Mensch­heit bedroht: Wir sind dabei, uns den Com­pu­tern anzu­glei­chen. Fas­zi­niert von der bei­spiel­lo­sen Stei­ge­rung der Mög­lich­kei­ten, die künst­li­che Intel­li­genz und Robo­tik dem Men­schen ver­hei­ßen, wuchert in den Köp­fen der Ent­wick­ler und Ver­mark­ter digi­ta­ler Tech­no­lo­gien das Pro­jekt der Trans­for­ma­ti­on des Men­schen nach Maß­ga­be der von ihnen ent­wi­ckel­ten Maschi­nen. Die die­ses Pro­gramm vor­an­brin­gen­de Ideo­lo­gie nennt sich nicht zufäl­lig Trans­hu­ma­nis­mus, ist es doch ihr erklär­tes Ziel, den Men­schen, wie wir ihn kann­ten, durch ein Mensch-Maschi­ne-Misch­we­sen zu erset­zen, des­sen vor­nehms­te Eigen­schaft das sein wird, was Maschi­nen uns Men­schen in der Tat vor­aus haben: Unsterblichkeit.

Die­ser von Yuval Noah Hara­ri in sei­nem Welt­best­sel­ler Homo Deus iden­ti­fi­zier­te Ome­ga-Punkt der tech­no­lo­gi­schen Ent­wick­lung soll­te hell­hö­rig machen. Denn mit dem Pro­jekt Unsterb­lich­keit steht mehr auf dem Spiel als nur der Tod: Auf dem Spiel steht nicht mehr und nicht weni­ger als unse­re Huma­ni­tät. Es ist ein im euro­päi­schen Kul­tur­raum von Dich­tern und Den­kern glei­cher­ma­ßen beschrie­be­nes Fak­tum, dass die Sterb­lich­keit zu den fun­da­men­ta­len Grund­si­gna­tu­ren des Mensch­seins gehört. Für die grie­chi­schen Pio­nie­re des euro­päi­schen Huma­nis­mus war das eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Wenn sie dem del­phi­sche Impe­ra­tiv Erken­ne dich selbst! (Γνώθι σαυτόν) folg­ten, benann­ten sie als Wesens­merk­mal des Men­schen nicht zufäl­lig das­je­ni­ge, was das damals gebräuch­li­che Syn­onym für Mensch anzeig­te: Er ist bró­tos – ein Sterblicher.

Sterb­lich­keit, auch das wuss­ten die Grie­chen, grün­det in der unhin­ter­geh­ba­ren Leib­lich­keit des Men­schen. Unser Leib ist sterb­lich, und das Wis­sen um die Sterb­lich­keit ist jeder unse­rer Zel­len ein­ge­schrie­ben. Sterb­lich­keit ist des­halb mehr als das kogni­ti­ve Wis­sen um das unaus­weich­li­che Ende. Es ist ein fun­da­men­ta­les „Sein zum Tode“ (Mar­tin Heid­eg­ger), das in jedem Augen­blick unse­rer phy­si­schen Exis­tenz gegen­wär­tig ist; gänz­lich unge­ach­tet der Fra­ge, ob der Tod ein fina­les Ende oder eine Trans­for­ma­ti­on bedeu­tet – eine Fra­ge, die sich über­haupt nur vor dem Hori­zont des Ster­bens stellt. So oder so: Sterb­lich­keit ist eine Qua­li­tät, die Maschi­nen oder Algo­rith­men grund­sätz­lich ver­schlos­sen bleibt. Sie kön­nen kaputt gehen oder abge­schal­tet wer­den und auch dar­um wissen,aber das ist etwas grund­le­gend ande­res als die kon­ti­nu­ier­li­che, phy­si­sche Prä­senz der eige­nen Fra­gi­li­tät, die jeden Atem­zug des Men­schen begleitet.

Das ist bedeu­tungs­voll, weil die Sterb­lich­keit bzw. das (bewuss­te oder unbe­wuss­te) kon­ti­nu­ier­li­che Bemü­hen, dem Tod aus­zu­wei­chen, unser gesam­tes Ver­hal­ten bestimmt. Der Phi­lo­soph und Bio­lo­ge Andre­as Weber hat zu zei­gen ver­mocht, dass alle Lebe­we­sen von einer füh­len­den Intel­li­genz gesteu­ert wer­den, deren Ziel es ist, am Leben zu blei­ben. Aber damit nicht genug: Mensch­li­che Intel­li­genz ope­riert eben­falls vor dem Hori­zont des Ster­bens – nicht nur, sofern sie – unbe­wusst – fort­wäh­rend für das Fort­le­ben des Lei­bes sorgt, son­dern vor allem, sofern in ihr, wie der Wie­ner Psych­ia­ter Vik­tor E. Frankl nach­wei­sen konn­te, ein unaus­lösch­li­cher „Wil­le zum Sinn“ wal­tet, der uns dazu ver­an­lasst (oder doch ver­an­las­sen könn­te), jedem Augen­blick unse­res Lebens Sinn und Wert zu ver­lei­hen. Leb­ten wir hin­ge­gen nicht vor dem Hori­zont des Todes und pass­ten uns zuneh­mend den unsterb­li­chen Algo­rith­men der KI an, erlä­ge die­ser Wil­le zum Sinn und wiche einer grau­en Gleich­gül­tig­keit; denn auch die avan­cier­tes­ten gene­ra­ti­ven Algo­rith­men wer­den nie­mals in der Lage sein, mensch­li­che Sinn­fra­gen und Sinn­stif­tun­gen nach­zu­voll­zie­hen. Sie kön­nen sie allen­falls simu­lie­ren, eine ech­te exis­ten­zi­el­le Seman­tik wird ihnen auf­grund ihres Man­gels an Leib­lich­keit aber nie­mals zugäng­lich sein. Simu­lier­ter Sinn kann Men­schen nicht mit Geist erfül­len – er kann sie nicht begeis­tern, wohl aber ent­geis­tern, sobald die Simu­la­ti­on als sol­che durch­schaut ist.

Unsterb­lich­keit – zumin­dest im Sin­ne der vom Trans­hu­ma­nis­mus in Aus­sicht gestell­ten end­lo­sen Fort­dau­er des Lebens – zer­stört den Raum mensch­li­cher Sinn­stif­tung und Sinn­fin­dung; und eine nicht-leib­li­che „Intel­li­genz“ ver­nich­tet ineins damit sowohl den Spiel­raum als auch die Spiel­zeit mensch­li­chen Kul­tur­schaf­fens, das von jeher der Sinn­stif­tung oder Sinn­ver­mitt­lung dien­te. Die­se Ero­si­on des Humus, auf dem die Huma­ni­tät zu wach­sen und das Huma­n­um zu erblü­hen ver­mag, ist das eigent­lich Furcht­ba­re an der von Zuse pro­gnos­ti­zier­ten Gefahr der Com­pu­ter­tech­nik: der Anglei­chung des Men­schen an Com­pu­ter bzw. Algorithmen.

Wie weit die­se Gefahr schon gedie­hen ist, ver­rät der Umstand, dass immer mehr Wis­sen­schaft­ler einem neu­en Reduk­tio­nis­mus erlie­gen, des­sen Cre­do von Hara­ri tref­fend auf den Punkt gebracht wur­de: Men­schen sind nichts ande­res als bio­che­mi­sche Nut­zen­op­ti­mie­rungs­al­go­rith­men. Die­ser Mind­set wird das Huma­n­um töten und mit ihr die mensch­li­che Kul­tur zum Erlie­gen brin­gen. Was dann bleibt, sei den Sci­ence-Fic­tion-gesät­tig­ten, puber­tä­ren Fan­ta­sien eines Ray Kurz­weil oder Elon Musk überlassen.

Für die Bewah­rung des Men­schen – mit all sei­nen Schwä­chen und Stär­ken – braucht es kei­nen Trans­hu­ma­nis­mus, son­dern einen neu­en Huma­nis­mus: einen Huma­nis­mus, der mit aller Klar­heit neu­er­lich die alte del­phi­schen Fra­ge auf­wirft, die den ers­ten Huma­nis­mus ent­fes­sel­te: Was heißt es, ein Mensch zu sein; ein Huma­nis­mus, der die Humi­li­tas – Demut – auf­bringt, die eige­ne End­lich­keit nicht nur anzu­er­ken­nen, son­dern als das zu schät­zen, was sie ist: ein Segen; ein Huma­nis­mus, der sich nicht scheut, den Ver­su­chun­gen des Trans­hu­ma­nis­mus zu wider­ste­hen und deren Men­schen­ver­ach­tung zu entlarven.