Der ethische Diskurs über KI geht uns alle an!

Frau Bundesministerin
Johanna Wanka
Bundesministerium für Bildung und Forschung
11055 Berlin
11. Mai 2017 cq
Offener Brief an Bundesministerin Johanna Wanka
Sehr geehrte Frau Bundesministerin,
in der heutigen Ausgabe der Zeitung »Die Welt – kompakt« (11. Mai 2017, Seite 5) werden Sie mit Sätzen zitiert, die mich zutiefst erschüttern. Dabei denke ich nicht primär an Ihre – wie mir scheint – bedenklich naive Illusion der politischen Steuerbarkeit Künstlicher Intelligenz; nein, was mich erschüttert ist das Verständnis von Bildung, das Sie als Bundesministerin für Forschung und Bildung an den Tag legen. Sie sagen: »Wenn künstliche Intelligenz nun den nächsten Wahn, ja den Zwang zur Selbstoptimierung bringt, dann müssen wir etwas dagegen unternehmen. Solche ethischen Fragen müssen diskutiert werden.« Bis dahin stimme ich Ihnen hundertprozentig zu. Danke für die klaren Worte. Aber dann: »Am besten in den Hochschulen.« – In den Hochschulen! Ja, glauben Sie denn, in den Hochschulen säßen die Ethik-Experten, die Ihnen und uns sagen können, was gut und richtig ist? Ja, glauben Sie wirklich, es gäbe so etwas wie Ethik-Experten, die aufgrund Ihrer Expertise die Öffentlichkeit davon entlasten könnten, einen solchen Diskurs selbst zu führen? Seit den Tagen des Aristoteles wissen wir, dass es solche Experten weder gibt noch geben kann – und eben deshalb leben wir in einer Demokratie, der wir zutrauen, durch einen öffentlichen Diskurs der Bürgerinnen und Bürger die für das soziale Leben unerlässlichen ethischen Entscheidungen vorzubereiten und zu treffen. Und eben deshalb ist es Ihre Verantwortung und Pflicht, Frau Ministerin, diesen Diskurs nach Kräften zu fördern, anzustrengen, zu unterstützen – und ihn nicht hinter die verschlossenen Türen der Hochschulen zu verlegen, deren Freiheit und Unabhängigkeit infolge der von Ihrer Partei betriebenen Hochschulpolitik ohnehin schon lange nicht mehr gewährleistet sind.
Die ethische Hege Künstlicher Intelligenz wird die größte Herausforderung unserer Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Und diese Aufgabe wollen Sie von Drittmittelgebern abhängigen Wissenschaftlern überlassen?! Merken Sie eigentlich, dass Sie damit die Demokratie unterhöhlen und durch eine Expertokratie ersetzen? Sind Sie sich dessen bewusst, dass Sie auf diese Weise Ihre Verantwortung als Bildungsministerin mit Füßen treten? – eine Verantwortung die darin besteht, Menschen aufzuklären und dafür Sorge zu tragen, dass der Bildungsstand der Bevölkerung ein Niveau hält, das es erlaubt, einen öffentlichen, politischen, ethischen Diskurs darüber zu führen, in welcher Gesellschaft man leben möchte und zu welchem Grade man sich von Künstlicher Intelligenz beherrschen lassen möchte? Der Diskurs über die ethische Vertretbarkeit und Regulierung neuer Technologien gehört in die Mitte unserer Gesellschaft und nicht in die Hinterzimmer von Hochschulen – oder Ministerien!
Das ist es, was mich erschüttert: Ihre Worte verraten, dass die Bundesbildungsministerin den Glauben an die Bildung verloren und durch einen naiven Glauben an wissenschaftliche Expertise ersetzt hat. Damit hat sie zugleich den Glauben an die Demokratie aufgegeben. Und das lässt mich den Glauben an das ethische Urteilsvermögen und das Verantwortungsbewusstsein meiner Regierung verlieren. Erschütternd, oder?
So scheint es also an uns Bürgerinnen und Bürgern hängenzubleiben: Wir selbst müssen den ethischen Diskurs darüber führen, wie wir es mit der Künstlichen Intelligenz halten wollen. Und das besser heute als morgen. Denn morgen schon werden Maschinen (oder die Menschen, die an sie glauben) den Anspruch erheben, uns als die rationaleren Experten das mühsame Geschäft des ethischen Denkens abnehmen und für sich monopolisieren zu dürfen.
Tun Sie was dagegen, Frau Ministerin: tun Sie etwas für die Bildung!
Mit freundlichem Gruß
Dr. Christoph Quarch