„Als die Mauer fiel, war ich 25 Jahre alt: Wir haben vor meinem kleinen Schwarzweiß-Fernseher in der Heidelberger Studi-WG gefeiert und Schampus getrunken. Wir sind nach Berlin aufgebrochen und haben ein paar Stücke aus der Mauer gehackt. Es war eine große Zeit. Neugierig erkundeten wir den uns unbekannten Teil Deutschlands. Wir verstanden, was des mit dem Ost-Slogan „Ruinen schaffen ohne Waffen“ auf sich hatte. Und wir staunten ob der vielen Schönheiten, die es trotzdem gab. Dann aber gingen wir wieder an die Arbeit, kehrten zurück an die Unis.
In Heidelberg und Tübingen bekam ich wenig von der Wiedervereinigung mit. Ein paar Studis aus dem Osten kamen, aber das war auch schon so ziemlich alles. Dass auch mein kleines Wessi-Leben nicht unbetroffen bleiben würde, merkte ich erst Jahre später, als ich meine erste richtige Stelle antrat. Ich wurde Redakteur bei einer kirchennahen Zeitschrift, und mein Chef kam von drüben.
Er war ein wirklich netter, wohlmeinender Herr, auf den ich nichts kommen lasse. Aber ich glaube, er konnte mit mir nichts Rechtes anfangen. Ich tickte so komplett anders als er – und wohl auch komplett anders als seine eigenen Sprösslinge, die etwa gleichalt gewesen sein dürften. Ich begriff erst jetzt, dass die Leute aus dem Osten ganz anders drauf waren als wir, selbst unsere Generationsgenossen. Die hatten nämlich gerade eine waschechte Revolution gestemmt – von Gorbis Gnaden, gewiss, aber es war doch eine echte Heldentat. Wir hatten dem nichts entgegenzusetzen. Außerdem waren die Ossis viel politischer, engagierter, tatkräftiger. Sie hatten für ihre Freiheit gekämpft, sie glaubten daran, dass der Weltgeist voranschreiten würde – während wir mit Waldsterben, FCKW und allen Widerständen zum Trotz stationierten Pershings leben mussten und mit dem Gefühl umgingen, es gehe alles den Bach runter. Wir neigten zur Resignation, die kamen aus der Revolution. Und das machte Eindruck.
Unsere alten Lehrerkumpel-Typen waren von den Neuzugängen begeistert. So hätten sie auch uns gern gehabt – so aufsässig, so politisch, so rebellisch. Gerade in der Kirche bekam ich das deutlich zu spüren. Als Wessi-Mann hatte ich da um 2000 herum keine Karriere-Chance mehr. Im Ernst: Zwischenzeitlich habe ich mich bei Kirchens als Wiedervereinigungsverlierer gefühlt.
Aber ich wäre ein schlechter Vertreter unserer Generation, wenn ich nicht auch damit meinen Frieden gemacht hätte: Wir verstehen schon, die haben’s ja nicht bös gemeint, sind ja auch nette Leute; und überhaupt – ist schon okay, alles auf dem Weg…
Naja, jedenfalls habe ich den Eindruck, dass es zwischen Ost und West noch immer erhebliche Mentalitätsunterschiede gibt, die etwas damit zu tun haben, dass diesseits und jenseits der Mauer unterschiedlich verdaut wurde. Und außerdem scheint mir, dass wir – egal ob aus Ost oder aus West – auch die 40 Jahre getrennte Wege und verschiedene Sozialisation noch zu verdauen haben. Doch was das angeht, scheint mir unsere Generation gut darauf vorbereitet zu sein.
Solange unser Verdauungstrakt noch nicht ganz verschlissen ist, können wir auch dieses Kapitel deutsch-deutscher Beziehungen auf die Reihe bekommen – wir, die Verdauungsspezialisten. Ein bisschen Zeit brauchen wir wohl noch, aber dann werden wir auch im deutsch-deutschen Beziehungsdrama unser großes Ziel erreichen und das haben, was wir immer und überall wollen: ein bisschen Frieden.“
(aus „Das waren unsere 80er – Kapitel „Wir können Deutschland“).
Mein Beitrag zum heutigen 30Jahre Mauerfall Jubiläum aus unserem Buch „Das waren unsere 80er“.
Ich schrieb das Buch zusammen mit meiner Studienfreundin Evelin König für unsere Generation – als nachdenklichen Einblick in das, was uns alle stark und groß macht. Mir scheint, dass wir nach wie vor allesamt als Mitte der Gesellschaft nicht als tollo gehypte werden, weil unspektakulär – und das muss ja auch einer sein, sonst gäbe es ja nur noch Spektakuläre und keinen mehr, der die alle beklatscht.
Überall im Buchhandel für € 10 erhältlich, ISBN 978 380 9440 116