Warum Fake News unser Gemeinwesen bedrohen und wie wir dieser Gefahr begegnen können Eine Demokratie lebt vom öffentlichen Diskurs. Der öffentliche Diskurs aber speist sich aus Nachrichten und Informationen. Dass darin für die politische Kultur eines Gemeinwesens eine latente Gefahr liegt, sah schon Platon, der den öffentlichen Raum einer Gesellschaft mit einem Schattenspiel-Theater verglich: Die Bürger werden fortwährend mit Informationen versehen, die sie für die Wirklichkeit halten bzw. mit der Wirklichkeit verwechseln, über die sie informieren oder wenigstens zu informieren vorgeben. Nicht das Sein der Wirklichkeit, so Platons Einsicht, zählt im öffentlichen und politischen Raum, sondern der Schein, der von dieser Wirklichkeit erzeugt wird: die Bilder, die im öffentlichen Raum von ihr kursieren oder in Geltung stehen. Politik läuft daher stets Gefahr, zu einer Kunst der Scheinerzeugung zu geraten und zu einer Technik der Manipulation und reinen Meinungsmache zu degenerieren. Denn Meinung generiert Macht – und Macht ist die Währung, in der Politik ihren Erfolg misst. Auch wenn Platons Bild mehr als 2400 Jahre alt ist: Der moderne Medienkonsument gleicht noch immer einem platonischen Höhlenbewohner. Das ist keine triviale Einsicht. Denn sie ruft zwei wichtige Sachverhalte in Erinnerung: zum einen, dass wir als Medienkonsumenten unabdingbar Bürger einer „erscheinenden Welt“ (Hannah Arendt) sind und zum andern, dass es deshalb grundsätzlich keine objektiv wahren Nachrichten geben kann. Im öffentlichen Erscheinungsraum ist jede Nachricht ist subjektiv. In ihrem Hintergrund stehen unausweichlich unausgesprochene Interessen und Kriterien, nach denen sie ausgewählt und gewichtet wurde. Die unhintergehbare Subjektivität einer Nachricht macht sie freilich noch nicht zu Fake News. Fake News gibt es erst da, wo der Inhalt einer Nachricht bewusst gefälscht wurde, um eine erhoffte Wirkung zu erreichen. Die Macher von Fake News bedienen sich mithin der im politischen Raum herrschenden Logik des Scheins, nach der sich der Wert einer Nachricht nicht in ihrer objektiven Wahrheit quantifizieren lässt, sondern vornehmlich nach der Wirkung, die man mit ihr erreichen kann. Wirkung erreicht eine Nachricht dann, wenn sie erstens emotional aufgeladen ist und sich zweitens politisch kontextualisieren lässt. Das war schon immer so und wurde immer schon von Propagandisten und Populisten genutzt, um Meinungsmache zu betreiben und Massen zu manipulieren bzw. zu mobilisieren. Dramatisch wird diese Dynamik erst, wo zweierlei gegeben ist: wo die Medien der Meinungsmache leicht zuglänglich sind und der Raum der öffentlichen Meinungsbildung zu einem ökonomischen Raum formatiert bzw. die Nachricht zu einer Art Ware geworden ist. Beide Voraussetzungen werden durch das Internet bzw. die sozialen Medien erfüllt. Dadurch ist eine bedrohliche Dynamik entstanden, die das massenweise Auftreten von Fake News im virtuellen Raum erklärt. Hier müssen wir genauer hinschauen und uns die Logik der Web-Ökonomie vergegenwärtigen: Eine Nachricht im Internet erhält ihren Wert dadurch, dass sie Menschen an eine Seite bindet und dort die Verweildauer steigert. Denn je länger die Verweildauer, desto höher der Werbewert der Seite. In der Web-Ökonomie ist Aufmerksamkeit nichts anderes als bares Geld. Will sagen: Die sozialen Medien folgen – wie das gesamte Netz – einer Aufmerksamkeitsökonomie. Wo sich die Aufmerksamkeitsökonomie mit politischen Interessen verbindet, ist der Boden für Fake News bereitet. Aufmerksamkeit im öffentlichen und virtuellen Raum erregt man am besten durch Erregung. Daher appellieren Fake News vorzugsweise an Empörungsmechanismen. Darin liegt ihre Gefahr: Wer empört ist, fragt nicht mehr, sondern verbreitet ungefragt die ach so empörende Nachricht weiter. Das dient einem doppelten Nutzen: In dem empörenden Sachverhalt sieht sich der Nutzer in seiner Meinung bestätigt und er erhofft sich eine Multiplikation seiner Ansicht dadurch, dass er die empörende Nachricht weiterleitet. Solche Empörungsdynamiken sind der Brennstoff, der die Fake News-Produktion am Laufen hält. Sie schalten das Fragen und Denken aus und instrumentalisieren Nachrichten als Argumente für die eigene Meinung oder das eigene Weltbild. Stephane Hessels seinerzeit so hoch gelobter Imperativ „Empört euch!“ hat der demokratischen Kultur bei Lichte besehen einen Bärendienst erwiesen. Fake News lassen sich also daran erkennen, dass sie Empörung evozieren wollen. Schlecht gemachten Fake News ist diese Absicht auf die Stirn geschrieben, raffinierte Fake News versuchen sie durch ein gewollt seriöses Auftreten zu vertuschen. Grundsätzlich ist man als Medienkonsument deshalb immer gut beraten, sich bei der Kenntnisnahme einer jeden Nachricht selbst zu beobachten und die Frage vorzulegen, was sie wohl in einem bewirken soll. Auch die öffentlich-rechtlichen Medien erliegen der Versuchung, die Empörungsmechanismen der Medienkonsumenten zu bedienen. So kommt es, dass man in den Nachrichtensendungen immer wieder von Gewalttaten hört, deren gesellschaftlicher Nachrichtenwert gegen Null tendiert, die allerdings in einer Aufmerksamkeitsökonomie durchaus wertvoll sind. Daran (und nicht nur daran) wird erkennbar, dass immer auch aufmerksamkeits-ökonomische Motive im Hintergrund der Nachrichtenauswahl stehen. Hier wäre zu wünschen, dass sich in den sogenannten Qualitätsmedien wieder ein journalistisches Ethos durchsetzt, das den Versuchungen der Empörungsindustrie ebenso widersteht wie der Versuchung zur gewollt manipulativen Berichterstattung. Denn es gibt bis auf weiteres keine Alternative zu öffentlich-rechtlichen Medien. Ich möchte das an einem Beispiel illustrieren. Für die Meinungsbildung in einem demokratischen Gemeinwesen ist die Versorgung der Menschen mit frischen Nachrichten so wichtig wie die Versorgung der Menschen mit frischem Wasser. Damit frisches, d.h. gereinigtes und sorgsam gefiltertes Wasser den Weg von der Quelle in die Haushalte unbeschadet übersteht, braucht es eine öffentlich verantwortete Infrastruktur, die eine qualitätvolle Wasserversorgung sicherstellt. Analog dazu braucht es eine öffentlich verantwortete Infrastruktur, die sicherstellt, dass die Verbraucher mit sauberen und sorgsam gefilterten Nachrichten versorgt werden – denn ohne Filter geht es nicht! Nicht ohne Grund scheut man sich, die Wasserversorgung in private Hand zu geben. Denn man weiß nie genau, aus welchen Brunnen die privaten Anbieter schöpfen – und ebenso man kann nie ganz sicher sein, dass die Quellen der Anbieter nicht durch Fake News vergiftet sind. Denn in der Tat: Wer Fake News in Umlauf bringt, ist ein Brunnenvergifter. Und Brunnenvergifter haben es sehr viel leichter, wenn sie überall und jederzeit das Versorgungsnetz anzapfen und ihre Toxine einspeisen können. Allerdings bedarf auch die öffentliche Hand einer Aufsicht. Daher ist das in Deutschland vorhandene System, in dem öffentlich-rechtliche und privatwirtschaftliche Medienanbieter konkurrieren und einander als kritisches Korrektiv beäugen, nicht das Schlechteste. Wir sollten es hegen und pflegen. Denn einen wirklich effektiven Schutz vor Fake News gibt es so wenig, wie objektiv wahre und nicht selektierte Nachrichten. In einer Zeit, in der soziale Netzwerke als Transportnetz für Nachrichten jedermann offenstehen, wird uns nichts anderes übrig bleiben, als irgendwie mit dieser Gefahr leben und umgehen zu lernen. Was also ist zu tun? Ich denke zweierlei. Zum einen wäre der Gesetzgeber meines Erachtens gut beraten, eine Art Datenpolizei einzurichten, die Fakenews-Produzenten mit einer ähnlichen Konsequenz und Schärfe verfolgt, mit der man in früheren Zeiten Brunnenvergifter verfolgt hätte. Zum anderen sollten wir als Gesellschaft darauf dringen, mehr Energie und Zeit auf unsere Bildung als Medienkonsumenten zu verwenden. Denn Fake News funktionieren nur, solange die Empörungsdynamiken der Mediennutzer unre flektiert greifen und sich niemand über die hermeneutische Situation des Nachrichtenkonsums aufklärt. Wir sollten schon in den Schulen unseren Kindern beibringen, bei allem, was sie an Nachrichten angeboten bekommen, die Frage zu stellen: Warum bekomme ich diese Nachricht übermittelt? Wer sagt mir hier was? Und Warum? Das einzig vielversprechende Antidotum gegen Fake News ist ein wacher Geist des Fragens. Gute Fragen sind ein wirkungsvolles Detox-Mittel. (Christoph Quarch, Fulda Februar 2019) Link zur SWR3 Radio-Sendung mit mir vom 15.1.2019 zum Thema Fake News… |