VERTRAUEN…

Ich möchte über das Vertrauen schreiben. Es ist eine der wichtigsten Ressourcen unseres Lebens. Doch sie droht zu verschwinden. Zum Teil, weil sie vergiftet wurde – zum Teil, weil wir vergessen haben, sie zu pflegen. Vergiftet wurde sie durch Unwahrheit und Lüge, durch Missbrauch und durch Untreue. Vergessen wurde sie im Rausch des virtuellen Raumes, der uns verlernen lässt, von Mensch zu Mensch einander zu begegnen. Nun leben wir – so heißt – in einem postfaktischen Zeitalter. Das heißt: Als Wirklichkeit gilt uns nicht mehr das Sein, sondern der Schein; nicht mehr die erkennbare Faktizität, sondern die gefühlte Virtualität.
Wie anders sollte es sein, wenn immer mehr Menschen sich immer länger im virtuellen Raum des Internets bewegen: dort, wo jeder Hinz und Kunz ohne je zur Rechenschaft gezogen zu werden, Unwahrheiten und Lügen verbreiten kann; dort, wo Hacker Falschnachrichten streuen; dort, wo Pishing-Mails uns täglich das Blaue vom Himmel lügen; dort, wo in sozialen Netzwerken Datensätze für Menschen ausgegeben werden; dort, wo Misstrauen zur Tugend wird und der Vertrauensselige zum Deppen; dort, wo die Postfaktizität einen Donald Trump zum Präsidenten der USA kürt.
Postfaktizität ist das Wort des Jahres 2016. Dabei ist es ein blanker Euphemismus. Richtiger sollte man von Hölle sprechen. Denn eine postfaktische Welt ist eine Welt, in der das Misstrauen zur Tugend wird. Und wo das geschieht, da ist die Hölle. Denn wenn Menschen einander nicht mehr vertrauen, wird menschliches Miteinander unmöglich. Und ohne Miteinander keine Menschlichkeit. Wer nicht vertrauen kann, verendet in der Einsamkeit; vielleicht verblendet in der virtuellen Illusion, in einem Netzwerk aufgehoben zu sein, postfaktisch narkotisiert vom neuen Opium des Volkes namens Internet.
Lassen Sie uns den Aufstand proben. Weihnachten steht vor der Tür – und damit die Frage: Was soll ich dieses Jahr verschenken? Mein Vorschlag: Schenken Sie Vertrauen! Tun Sie’s einfach. Lassen Sie sich nicht anstecken vom Ungeist der Postfaktizität. Verweigern Sie sich der virtuellen Lügenwelt und wenden sich dem faktischen Menschen aus Fleisch und Blut zu. Schauen Sie ihm in die Augen. Reichen Sie ihm die Hand. Und machen Sie ihn zu Ihrem Vertrauten. So wie mein Freund Jan, dem ich die größte Szene dieses Jahres verdanke: Im Restaurant zahlt er mit Karte. Anstatt den unvermeidlichen PIN selbst ins Gerät zu tippen, sagt er dem Kellner die vier Ziffern und bittet ihn, das selber zu erledigen. Das ist groß! Das ist menschlich! Daran sollten wir alle Maß nehmen, wenn uns das Menschliche im postfaktischen Zeitalter nicht ganz verloren gehen soll.
Schenken Sie Vertrauen. Sagen Sie trotzdem Ja zum Anderen und neutralisieren so das Toxin des Misstrauens in seiner Seele. Eine größere Freude können Sie niemandem machen. Auch nicht sich selbst. Denn wer Vertrauen schenkt, darf darauf hoffen, dass auch ihm Vertrauen geschenkt wird: das Kostbarste, was uns in dieser Zeit gegeben ist.