Selbsterzeugtes Hirndoping

Die hoch­ge­prie­se­ne Krea­ti­vi­tät der Mit­ar­bei­ten­den lässt sich nur in den sel­tens­ten Fäl­len durch Druck erzeu­gen. Doch Begeis­te­rung wirkt hier Wunder. 

Sie reden noch heu­te davon. Und wenn sie davon reden, leuch­ten ihre Augen. Die Top 30 eines Ver­si­che­rungs­mak­lers waren zu ihrer jähr­li­chen Füh­rungs­klau­sur zusam­men­ge­kom­men, doch die­ses Mal war es anders. Statt über KPIs, Assets und Abschlüs­se zu dis­ku­tie­ren, saßen sie im Kreis und musi­zier­ten; obwohl die wenigs­ten von ihnen musi­ka­lisch sind. Das muss­ten sie auch gar nicht sein, weil die Instru­men­te, die sie hand­hab­ten, für Anfän­ger geeig­net waren. Sie saßen da und spiel­ten mit­ein­an­der. Und sie waren begeistert.

„Das wah­re Geheim­nis des Erfolgs ist die Begeis­te­rung“, wuss­te schon Auto­bau­er Wal­ter Chrys­ler. Und die neu­zeit­li­che Hirn­for­schung gibt ihm recht: „Jeder klei­ne Sturm der Begeis­te­rung führt dazu, dass im Hirn ein selbst­er­zeug­tes Doping abläuft“, weiß Hirn­for­scher Ger­hard Hüt­her und erläu­tert, dass Begeis­ter­te des­halb beson­ders krea­tiv und lern­fä­hig sind: „So wer­den all jene Stof­fe pro­du­ziert, die für alle Wachs­tums- und Umbau­pro­zes­se von neu­ro­na­len Netz­wer­ken gebraucht werden“.

In einer Epo­che, die oft als VUCA-Zeit beschrie­ben wird, weil sie durch Flüch­tig­keit (vola­til­ty), Unge­wiss­heit (uncer­tain­ty), Kom­ple­xi­tät (com­plex­tiy) und Mehr­deu­tig (ambi­gui­ty) geprägt ist, sind Unter­neh­men zuneh­mend auf Krea­ti­vi­tät und Lern­fä­hig­keit ange­wie­sen. Schon heu­te, aber noch mehr in weni­gen Jah­ren, wenn der digi­ta­le Wan­del vor­an­schrei­tet. Vie­le ope­ra­ti­ve Pro­zes­se wer­den dann maschi­nen­ge­steu­ert sein; nur Krea­ti­vi­tät und Inno­va­ti­ons­fä­hig­keit wer­den durch avan­cier­te KI nicht zu gene­rie­ren sein. Eben­so wenig wie Mit­ar­bei­ter- oder Kun­den­bin­dung, Team- und Unter­neh­mer­geist. Dafür braucht man etwas ande­res: Begeisterung.

Des­halb ist das Leuch­ten in den Augen der Füh­rungs­kräf­te mehr als bloß ein Nice-to-have. Es ist ein Must-Be. Denn Begeis­te­rung ist eine Kraft, die Men­schen ener­ge­ti­siert, ver­bin­det und Sinn stif­tet. Man kann sich das leicht vor Augen füh­ren, wenn man an Fans denkt. Ech­te Fuß­ball­fans gehen mit ihrer Mann­schaft durch dick und dünn, scheu­en kei­ne Kos­ten und Mühen – und haben viel Freu­de dabei. Wäre es nicht fan­tas­tisch, Mit­ar­bei­ter oder Kun­den zu haben, die wie Fans von ihrem Unter­neh­men begeis­tert sind – oder von den Pro­duk­ten, die eine Unter­neh­men herstellt?

Immer mehr Unter­neh­mer beant­wor­ten die­se Fra­ge mit Ja, und so nimmt es nicht Wun­der, dass sich ein bun­ter Markt von Coa­ches und Rat­ge­bern gebil­det hat, die sich ihnen als pro­fes­sio­nel­le Begeis­te­rer andie­nen. Ihr Ver­spre­chen: durch Metho­den oder Tricks lässt sich im Unter­neh­men Begeis­te­rung erzeu­gen. Was dann gebo­ten wird, ist aller­dings oft frag­wür­dig oder bloß flach: Immer neue „emo­tio­na­le Kicks“ sol­len die Leu­te begeis­tern, oder „posi­ti­ve Über­ra­schun­gen“. Vie­les, was dort ange­bo­ten wird, ent­stammt eher dem Arse­nal gewief­ter Mani­pu­la­to­ren oder Dem­ago­gen, die gut wis­sen, wie man Men­schen durch geziel­te Maß­nah­men emo­tio­nal bin­den kann. Aber die­ser Schuss geht meist nach hin­ten los, denn oft schon ende­te arti­fi­zi­ell erzeug­te Schein­be­geis­te­rung in gründ­li­cher Ent­geis­te­rung – immer dann, wenn der Schwin­del auf­fliegt und Men­schen durch­schau­en, dass sie benutzt wurden.

Ech­te Begeis­te­rung geht anders. Sie hat, wie unse­re Spra­che klar bezeugt, etwas mit Geist zu tun. Geist aber ist schwer zu fas­sen. „Der Geist weht, wo er will“, sagt ein viel­zi­tier­tes Bibel­wort. Wer mit der Wirk­lich­keit des Geis­tes zu tun hat, weiß, dass das stimmt. Er weiß auch, dass der Geist sich nicht zwin­gen lässt, es wohl aber mög­lich ist, Segel zu schnei­dern, in die er fah­ren kann. Etwa, indem man für Füh­rungs­kräf­te einen Impro-Musik­work­shop durch­führt. Dort kann er spie­le­risch im Zwi­schen­raum der Men­schen ent­fes­selt wer­den und sei­ne Wir­kung ent­fal­ten: Der Kahn wird wie­der flott, das Leuch­ten in den Augen kehrt zurück. Es taucht zwar nicht direkt in Bilan­zen auf, aber die Men­schen, die von einem guten Geist ergrif­fen sind, wer­den das Unter­neh­mens­schiff gleich­wohl auf Erfolgs­kurs halten.

(ver­öf­fent­licht in Per­so­nal­wirt­schaft – Das Maga­zin für den Job HR 07/2021)