Nichtstuer sind keine Helden

Mein Früh­stücks-Quarch zur Wer­be­kam­pa­gne der Bundesregierung

Unter dem Titel „Beson­de­re Hel­den” wirbt die Bun­des­re­gie­rung mit einem Set von Video-Clips dafür, Kon­tak­te zu ande­ren Men­schen zu ver­mei­den und Coro­na-Auf­la­gen zu befol­gen. Das Mus­ter: Senio­ren erin­nern sich an ihre Jugend im Win­ter 202021, als die Pan­de­mie gras­sier­te und sie die eige­nen vier Wän­de hüten muss­ten: „Wir taten damals genau das Rich­ti­ge: nichts”, heißt die zen­tra­le Mes­sa­ge. Und: Durch ihr Nichts­tun wur­den die Youngs­ter von damals zu ganz „beson­de­ren Hel­den”, weil sie auf die­se Wei­se Men­schen­le­ben ret­te­ten. Die Reak­tio­nen auf die Kam­pa­gne fal­len unter­schied­lich aus: In sozia­len Medi­en zei­gen sich viel User ob der humor­vol­len Behand­lung des The­mas begeis­tert, ande­re bekla­gen die Aus­blen­dung von Pro­ble­men wie Ein­sam­keit, häus­li­che Gewalt oder Existenzängste.

Was sagt der Phi­lo­soph?Wie wahr­schein­lich nicht anders zu erwar­ten, gibt der Phi­lo­soph die Spaß­brem­se. Klar kann auch ich den Wil­len zum Humor in die­sen Vide­os erken­nen, aber ich fin­de sie trotz­dem nicht lus­tig. Klar tei­le auch ich das Anlie­gen dahin­ter, aber ich fin­de offen gestan­den, dass von der Kam­pa­gne trotz­dem ein völ­lig fal­sches Signal aus­geht. Ich nen­ne es: die Heroi­sie­rung des Nichts­tuns. Ob nun augen­zwin­kernd oder nicht: Die Mes­sa­ge ist: Von euch Bür­gern erwar­ten wir, dass ihr nichts tut. Der Schuss aber könn­te nach hin­ten los­ge­hen, denn eine Demo­kra­tie aber lebt davon, dass ihre Bür­ge­rin­nen und Bür­ger etwas tun: sich ein­brin­gen, aktiv sind, mit­re­den etc. Der Apell zum Nichts­tun ist in mei­nen Augen ein gefähr­li­cher Apell zur Ent­po­li­ti­sie­rung der Gesellschaft.


Aber die Vide­os sind doch offen­sicht­lich wit­zig gemeint und wer­den von vie­len Beob­ach­tern auch genau­so wahr­ge­nom­men, ja gera­de­zu gerühmt. Ein bri­ti­scher Jour­na­list schrieb: „Ich kann damit umge­hen, dass die deut­sche Ant­wort auf die Pan­de­mie bes­ser ist als unse­re, aber ich glau­be, ich kann nicht damit umge­hen, dass sie lus­ti­ger ist.

Viel­leicht muss man Bri­te sein, um auf die­se Art von Humor anzu­sprin­gen. Viel­leicht fehlt mir auch ein­fach das Iro­nie-Gen. Tat­sa­che aber ist, dass ich die Spots über­haupt nicht iro­nisch, son­dern allen­falls zynisch fin­de. Und zwar zynisch all denen gegen­über, die in die­sen Tagen daheim blei­ben müs­sen, aber dabei gera­de nicht zur Coach-Pota­to mutie­ren, son­dern die die­se Zeit nut­zen, um etwas Sinn­vol­les zu tun. Bei­spiel: Mein Freund, der in sei­ner Woh­nung sitzt und von dort aus einen Ver­ein grün­det, der es sich zur Auf­ga­be macht, für Tau­sen­de von in Not gera­te­nen Gas­tro­no­mie-Beschäf­tig­ten auf Mal­lor­ca den Win­ter über kos­ten­lo­se Mahl­zei­ten zur Ver­fü­gung zu stel­len; oder die vie­len Kunst­schaf­fen­den, die sich neue Wege aus­den­ken, wie sie Men­schen in der Kri­se mit Kunst und Kul­tur beglü­cken kön­nen. Das sind für mich beson­de­re Hel­den: Leu­te, die etwas für unser Gemein­we­sen tun; aber doch nicht die­je­ni­gen, die sich ihres rein selbst­be­züg­li­chen Nichts­tuns rühmen.


Liegt aber nicht der Charme der Kam­pa­gne gera­de dar­in, dass sie das über­kom­me­ne Kon­zept des „Hel­den­tums” iro­nisch bricht. Da erzählt einer der Prot­ago­nis­ten etwa: „Unse­re Couch war die Front, und unse­re Geduld war die Waf­fe.” Ich fin­de, das ist eine sehr gelun­ge­ne Dekon­struk­ti­on des alten deut­schen Helden-Mythos.

Sehe ich ehr­lich gesagt anders. Wobei ich als alter Wehr­dienst­ver­wei­ge­rer natür­lich auch dafür bin, das alte mili­ta­ris­ti­sche Hel­den-Ethos hin­ter uns zu las­sen. Aber das gelingt gera­de nicht dadurch, dass man das Nichts­tun ver­klärt. In Wahr­heit wird damit das­je­ni­ge heroi­siert, was wir Phi­lo­so­phen Nihi­lis­mus nen­nen: eine inne­re Hal­tung, die kei­ne Wer­te oder Idea­le mehr kennt. Tat­säch­lich sind die angeb­li­chen „beson­de­ren Hel­den” die per­fek­ten Nihi­lis­ten: rei­ne Kon­su­men­ten, die vor der Glot­ze hän­gen und sich die Piz­za kom­men las­sen. Dadurch wird das Kon­zept des Hel­den ad absur­dum geführt. Und das ist dumm, denn wir brau­chen ein neu­es, zeit­ge­mä­ßes Ver­ständ­nis von Hel­den­tum – und zwar drin­gend, weil wir im 21. Jahr­hun­dert Men­schen brau­chen, die sagen: Pan­de­mie, Kli­ma­wan­del, neue Rech­te: Ver­dammt noch mal, die Welt droht aus dem Ruder zu lau­fen. Aber trotz­dem: Trotz­dem wer­de ich aktiv, enga­gie­re ich mich, tue ich etwas!


Okay, unter dem Stich­wort „beson­de­re Hel­den” hät­ten Sie sich etwas ande­res gewünscht. Aber wäre das nicht sehr schul­meis­ternd, wenn die Regie­rung nur die Akti­vis­ten zu Hel­den erklä­ren woll­te. Es geht ja offen­bar dar­um, auch die­je­ni­gen zu errei­chen, die kei­ne so heh­ren Idea­le verfolgen.

Aber dann soll­te man sie nicht „Hel­den” nen­nen. Wie gesagt: Ich glau­be, dass wir im 21. Jahr­hun­dert durch­aus Hel­den im her­ge­brach­ten Sin­ne brau­chen. Leu­te, mit Wer­ten und Visio­nen, für die klar ist: Ich habe zwar kei­ne Chan­ce, aber ich ergrei­fe sie! Leu­te, die sich ein­brin­gen, die krea­tiv sind und sicher manch­mal auch unbe­quem. Dass die Bun­des­re­gie­rung nicht für ein sol­ches Hel­den­tum wirbt, son­dern für das genaue Gegen­teil, das beun­ru­higt mich. Jeder weiß, dass Couch-Pota­tos leich­ter zu regie­ren sind als enga­gier­te Bür­ge­rin­nen und Bür­ger. Ver­häng­nis­vol­l­er­wei­se drängt sich der Ein­druck auf, es gebe da regie­rungs­sei­tig eine hid­den agen­da. Oder – schlim­mer noch: den getarn­ten Ver­such, das eige­ne Nichts-Tun zu heroi­sie­ren. Denn dass man in Ber­lin die Covid-Zeit dar­auf ver­wen­det hät­te, mit ech­tem Hel­den­mut neue Wege ein­zu­schla­gen, habe ich bis­her nicht fest­stel­len können. 

Hören Sie ihn per­sön­lich im SWR-Pod­cast Früh­stücks-Quarch.