»Es reicht!« schreibt heute Ulf Poschard mit Blick auf die Griechenland-Krise in der »Welt« und meint sich darüber echauffieren zu müssen, die »Griechenlandrettung« sei nur noch »durchschnittlich unterhaltsam«. Ja, es reicht wirklich! Herr Poschard, möchte man da rufen: Wir brauchen solche wohlfeilen, feisten Kommentare nicht mehr, die Politik nur noch nach ihrem Unterhaltungswert bemessen. Der Mann sollte lieber wieder über Mode schreiben, als darüber zu lamentieren, dass die griechische Regierung politische Ideen verfolgt, »die aus dem 19. Jahrhundert stammen«. Als ob das in irgendeiner Weise deren Wahrheitsgehalt trübte – als ob soziale Gerechtigkeit ein Traum des 19. Jahrhunderts wäre! In Wahrheit ist es eine Idee aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. von Kleisthenes und Solon. Ist sie deshalb schlecht, weil sie 2600 Jahre alt ist? Und obendrein die Grundlage für das politische Denken Europas? Jenes Europas, dessen Abgesang dieser unselige Schreiber sich anzustimmen anmaßt und sich zu der These versteigt, ein »Europa der Bürger und nicht der Bänker« habe dieser Kontinent nicht verdient?
Unerträgliches Schablonen-Denken
Nein, Europa hat ein »Europa der Bürger und nicht der Bänker« verdient, und soziale Gerechtigkeit ist immer noch eine gute Idee – viel besser jedenfalls als die starren Denkschablonen des 20. Jahrhunderts, in denen Herr Poschard, Frau Lagarde, Herr Schäuble und wie sie alle heißen gefangen sind: In deren Sicht lümmeln in Athen die bösen »Kommunisten«, die den »alten, ranzigen Sozialismus-Kram« reaktivieren. Wer solches spricht und dann auch noch die Stirn hat, die »maulende Generation« auf dem Syntagma-Platz zu schulmeistern, für den gilt schlicht das treffende Wort von Dieter Nuhr: »Wenn man keine Ahnung hat – einfach mal die Fresse halten!« – Es reicht, Herr Poschard! Die Griechenland-Häme ist unerträglich.
Dem IWF geht‘s nur noch um die reine Lehre
Bleiben wir kurz bei den Fakten der letzten Tage: Die griechische Regierung legt Reformvorschläge vor, mit denen sie die Einsparungsvorgaben der Troika erfüllt. Die Europäer nicken bereits, da kommt Frau Lagarde (La Garde – die Wächterin über die versteinerte Ideologie des Ökonomismus) und sagt: »So nicht: Die Reichen dürfen nicht besteuert werden – nein, die Mehrwertsteuer muss hoch: damit der Mittelstand in Hellas endgültig ausblutet! Damit die Regierung der ›Kommunisten!‹ (Man kann es nicht mehr hören) weg kommt und das globale Kapital sein teuflisches Spiel geradewegs weiterspielen kann.« So sieht’s aus. Wenn hier einer mit überholten Ideen des 18. Jahrhunderts aufwartet, dann ist es der Ökonomen-Tross des IWF, der keine, aber auch gar keine Idee im Koffer hat, die irgendwie eine Lösung verspräche. Da geht’s um die reine Lehre – um die ökonomistische Endlösung.
Glauben an Gerechtigkeit
Um Himmels willen! Ich rede schon wie ein »Linker«! Der ich aber nicht bin. In Wahrheit redet so ein Konservativer – einer der so konservativ ist wie Tsipras und Varoufakis – einer der so konservativ ist, an Gerechtigkeit, Demokratie und Menschlichkeit zu glauben – einer der so konservativ ist, den Irrsinn des Ökonomismus nicht länger erdulden zu wollen, der Millionen von Menschen ins soziale Elend stürzt und dann Schreiberlinge heranzieht, die Eimer voller Häme über diese »maulenden« Griechen ausschütten. Es reicht!
Der heilige Wahnsinn
»Der Hellas Wahnsinn« titelt heute die »Welt«. Ja, es ist der Wahnsinn, der sich dort zuträgt: aber es ist nicht der kranke Irrsinn des IWF, sondern der heilige Wahnsinn des Dionysos: des Gottes, der alle erstarrten und lebensfeindlichen Ordnungen um der Menschlichkeit und Lebendigkeit willen hinwegbläst. Er hat viel zu tun in diesen Tagen – mögen seine Agenten in der griechischen Regierung erfolgreich sein!