Christoph Quarch sieht den Schlüssel zum Glück im Sozialsinn

Warum sind uns die Skandinavier in Sachen Glück so weit voraus?

Pünktlich zum Internationalen Tag des Glücks ist zu Beginn dieser Woche der World Happiness Report 2023 erschienen. Das Ergebnis: Zum sechsten Mal in Folge steht Finnland an der Spitze des Glücks-Rankings, dicht gefolgt von Schweden und Island. Deutschland ist im Vergleich zum Vorjahr auf den 16. Platz abgerutscht. Erstellt wir die Rangliste auf Basis von Umfragen des Instituts Gallup zur Lebenszufriedenheit in den drei zurückliegenden Jahren. Daraus entsteht eine länderspezifische durchschnittliche Lebensbewertung, in die Faktoren wie soziale Unterstützung, Einkommen, Gesundheit, Freiheit, Großzügigkeit und die Abwesenheit von Korruption eingehen. Aber warum sind uns die Skandinavier in Sachen Glück so weit voraus? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.

Herr Quarch, überrascht sie das schlechte Abschneiden Deutschlands?

Nein, damit war zu rechnen. Im Jammern waren wir Deutschen schon immer groß – wenn auch verglichen mit anderen Nationen auf hohem Niveau und mit vergleichsweise wenig guten Gründen. Denn de facto geht es dem Großteil der Bevölkerung in unserem Land nicht schlecht – vielleicht außer den jungen Menschen, die von Covid schwerer getroffenen wurden als andere Altersgruppen und nun die Praxen der Kinder- und Jugendpsychologen füllen, während sich die Senioren in diesem Jahr erneut über eine satte Rentenerhöhung freuen dürfen. Einkommen, Gesundheit, Freiheit – in allen diesen Bereichen sind wir ziemlich gut. Ich glaube, wir reden das Leben in Deutschland schlechter als es ist.

Aber das Glück ist doch eine ziemlich subjektive Angelegenheit. Können die Parameter des World Happiness Report ein verlässliches Bild vom Glücksniveau einer Bevölkerung geben?

Ich bin da ehe skeptisch, muss aber nach eingehenderer Beschäftigung mit der Studie anerkennen, dass die von ihr verwandten Parameter und Methoden ein ziemlich verlässliches Bild geben, da sowohl subjektive Befindlichkeiten als auch objektiv messbare Faktoren in die Befragung eingegangen sind. So lässt sich am Beispiel der skandinavischen Länder zeigen, dass nicht nur eine in Sozialleistungen objektiv messbare staatliche Unterstützung dem kollektiven Glück förderlich ist, sondern auch das subjektive Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die staatlichen Institutionen oder in die amtierende Regierung. Genau daran aber hapert es in Deutschland beträchtlich – und zwar nicht, weil der Staat per se schlecht ist, sondern weil er gerne schlechtgeredet wird.

Die Ukraine ist im diesjährigen Ranking trotz des Krieges im eigenen Land aufgestiegen – ebenso wie die baltischen Staaten, in denen die Sorge vor weiteren Aggressionen ihres Nachbars Russland zunehmen. Wie kann man sich das erklären?

Das ist eine spannende Frage. Ich denke, es hat etwas damit zu tun, dass das menschliche Wohlbefinden primär davon abhängt, ob es gelingt, Sinnperspektiven für das eigenen Leben zu entdecken. Mit gutem Grund sagte Friedrich Nietzsche: Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt auch jedes Wie. Vielleicht kann man das auf die Ukraine anwenden. Das Leben dort hat einen klaren Fokus: den unrechtmäßigen Angriff auf die Freiheit und das Leben des eigenen Volkes abwehren. Man weiß, was zu tun ist. Man weiß, was gut ist. Das stiftet einen starken Zusammenhalt der Menschen und gibt ihrem Leben einen klaren Sinnhorizont. Beides kann Menschen glücklich machen, selbst unter den fürchterlichsten Umständen. 

Was können wir Deutschen von anderen Ländern lernen, wenn es uns darum zu tun ist, im internationalen Vergleich wieder besser dazustehen?

Von den Skandinaviern können wir lernen, wie wichtig ein funktionierender Staat für das Wohlergehen der Bürger ist. Wir sind in Deutschland – aus historisch verständlichen Gründen – viel zu leichtsinnig dem neo-liberalen Mythos aufgesessen, der behauptet, je weniger Staat, desto besser. Skandinavien zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist. Staatliche Sozialleistungen, staatliche Regulierung des Marktes, verlässliche Institutionen, Mitwirkungsmöglichkeiten: all das schafft ein politisches Klima, in dem der Gemeinsinn wächst. Gemeinsinn aber – auch das zeigt die Studie – ist unserem Glück viel förderlicher als die in Deutschland weit verbreitete „Hauptsache Ich“-Mentalität. Die einfache Wahrheit lautet: Sozialsinn macht glücklich. Wenn wir das lernen, kommen wir vielleicht wieder in die Top 10.