ACHTSAMKEIT

Es ist eines dieser Modeworte, das zu gebrauchen einem Kopfnicken und Zustimmung verheißt. Wer wollte denn nicht achtsam sein? Wer sähe nicht, dass Achtsamkeit dem stressgeplagten Menschen unserer Tage gut tut? Da trifft es sich, das Achtsamkeit methodisch lern- und lehrbar ist – und dass man sie deshalb als Ware auf den Marktplatz tragen kann: um sie den Führungskräften in den Unternehmen anzubieten – damit auch diese etwas achtsamer und spiritueller werden. Wer könnte dem etwas entgegensetzen?
Was eigentlich ist Achtsamkeit? Und worin liegt ihr unstrittiger Wert? Im Englischen spricht man von mindfulness – was zu erkennen gibt, wo Achtsamkeit zu lokalisieren ist: im mind, d.h. im Intellekt. Man könnte sie als Geistesgegenwärtigkeit bezeichnen, als fokussierte Wachsamkeit unseres Bewusstseins. Als solche ist sie zweifelsohne nützlich: Dem Achtsamen entgeht nicht, was um ihn herum geschieht. Wer achtsam ist, bekommt mehr mit vom Leben. Und das ist gut, vor allem dann, wenn man durch Medienkonsum und Smartphones dauernd abgelenkt oder zerstreut wird.
Nützlich ist die Achtsamkeit, so viel steht fest. Sie nutzt dem Jäger und dem Krieger, dem Spieler und dem Broker, dem Pfleger und dem Chirurg. Sie nutzt jedem. Sie ist ein wunderbares Instrument, um seine Fertigkeit und Profession zu optimieren. Und folglich ist man gut beraten, wenn man zu Markte schreitet und ein Achtsamkeitsprogramm erwirbt.
Nur eines sollte man dabei bedenken: Die Achtsamkeit für sich ist keine Tugend. Sie ist ein Mittel, das man allen möglichen Zwecken dienstbar machen kann. Und eben deshalb lässt sie sich so gut zu Markte tragen – weil es dort jedem freisteht, sie nach Erwerb so zu gebrauchen, wie es einem gerade passt. Deshalb ist auch nicht viel gewonnen, wenn alle Manager ab morgen achtsam sind. Sie werden dann ihr tägliches Geschäft noch effizienter verrichten; ob es deshalb mehr dem Leben dient, ist fraglich.
Wichtiger als Achtsamkeit ist deshalb das, in dessen Dienst sie letztlich stehen muss: die Konversation. Dass Menschen wahrnehmen, was andere ihnen zu sagen haben; dass sie den Anspruch des Lebens vernehmen, um ihm verantwortlich Antwort zu geben; dass sie nicht nur konsumieren, sondern sich vom anderen etwas angehen lassen: für all das schafft Achtsamkeit eine wichtige Voraussetzung. Aber mehr auch nicht. Was wirklich Not tut und was wirklich eine Tugend ist, das ist die echte Zugehörigkeit zum anderen, die sich in der Begegnung zwischen Mensch und Mensch ereignet: in dem Gespräch, das aus Achtsamkeit und Aktion, aus Hören und Reden gemischt ist – und das nicht nur ein Instrument, sondern ein Wert in sich ist, weil in ihm die Blüte unseres Menschsein zur Entfaltung kommt: das Miteinander-in-Beziehung-Sein; was mehr ist als die Wachsamkeit des eigenen Bewusstseins.