Φιλοσοφία – Philosophie (1)

Wie man es in der Kunst des Lebens zur Meis­ter­schaft bringt

Phi­lo­so­phie ist eine grie­chi­sche Erfin­dung. Zumin­dest das Wort. Zum ers­ten Mal taucht es im aus­ge­hen­den 5. Jahr­hun­dert v. Chr. auf. Allem Anschein nach han­delt es sich um eine neue Wort­schöp­fung, denn phi­lo­so­phía setzt sich aus zwei Tei­len zusam­men: Phi­lo, her­ge­lei­tet vom Ver­bum phi­leîn gern­ha­ben, erseh­nen, lie­ben) und sophía = (Weis­heit). Wer phi­lo­so­phiert ist jemand, dem es um Weis­heit geht, ein Freund der Weis­heit. Aber was genau heißt das?

Die Phi­lo­so­phie ist älter das Wort, das sie nennt. Erst als sich der Begriff Phi­lo­so­phie im alten Hel­las ein­ge­bür­gert hat­te, wur­de es mög­lich, die gro­ßen Den­ker der Ver­gan­gen­heit als Phi­lo­so­phen zu bezeich­nen. Sie selbst hät­ten das noch nicht getan. Das gibt uns die Chan­ce zu ver­ste­hen, was die ursprüng­li­che Pra­xis derer ist, die man spä­ter Phi­lo­so­phen nann­te. Einen Wink dies­be­züg­lich gibt Hero­dot, auch bekannt als „Vater der Geschichts­schrei­bung“. In sei­nen His­to­ri­en erzählt er von einem Besuch des Athe­ner Staats­manns Solon beim lydi­schen König Kro­i­sos, der ihn mit fol­gen­den Wor­ten emp­fan­gen haben soll: „Ver­schie­de­ne Kun­de ist zu uns gelangt über dei­ne Weis­heit (sophía). Man hat uns erzählt, du habest, weil dir an Weis­heit liegt (phi­lo­so­phía), vie­le Län­der der Erde besucht, um des Schau­ens (theo­ría) wil­len“. Was ver­rät uns das?

Solon wird ange­spro­chen als jemand, der um der Weis­heit (sophía) wil­len auf Rei­sen ist und von dem man mit­hin sagen kön­ne, er sei ein weis­heits­lie­ben­der Mensch: ein Phi­lo­soph. Des­halb übe er sich in dem, was auf Grie­chisch theo­ría heißt und gemein­hin mit Schau über­setzt wird. Dar­aus kön­nen wir schlie­ßen: Die ursprüng­li­che Pra­xis eines Weis­heits­freun­des ist die Schau – und zwar die Schau, die ihm Weis­heit in Aus­sicht stellt. Aber was ist das für eine Schau?

Theo­ría ist ein Wort, das aus dem reli­giö­sen Umfeld stammt. Wer einer Kult­fei­er bei­wohn­te und sich auf die­se Wei­se dem Gött­li­chen zuwand­te, erging sich in theo­ría. Theo­ría ist also nicht ein ein­fa­ches Hin­schau­en, son­dern ein ver­stän­di­ges Hin­schau­en: ein Hin­schau­en, das die Ober­flä­che des Betrach­te­ten durch­sich­tig wer­den lässt, um des­sen tie­fe­ren Sinn zu erschlie­ßen. Mit die­sem Vor­satz und in die­ser Hal­tung wand­ten sich Män­ner wie Tha­les, Anaxi­man­der oder Pytha­go­ras den Phä­no­me­nen der Welt zu, beob­ach­te­ten die Natur­er­schei­nun­gen und den nächt­li­chen Ster­nen­him­mel. Theo­ría war die Wei­se, wie sie Wis­sen­schaft betrie­ben. Sie woll­ten ver­ste­hen. Aber warum?

Die­je­ni­gen, die man spä­ter Phi­lo­so­phen nann­te, befass­ten sich mit der Natur nicht, weil sie sich ihrer bemäch­ti­gen woll­ten. Auf die Idee, als Herr und Meis­ter über die Natur zu herr­schen, wie zu Beginn der Neu­zeit René Des­car­tes for­der­te, kamen die grie­chi­schen Den­ker nicht. Sie erforsch­ten die Welt, um der sophía wil­len: weil sie nach Weis­heit streb­ten. Aber was ist sophía?

Sophía ist – grie­chisch gedacht – nicht so sehr ein theo­re­ti­sches Wis­sen als viel-mehr eine prak­ti­sche Fer­tig­keit. Als sóphos galt, wer sich in einem Gebiet gut aus­kann­te: ein Meis­ter sei­nes Faches. Und als sóphos – Wei­ser – im empha­ti­schen Sin­ne galt, wer es in der umfas­sends­ten aller Küns­te zur Meis­ter­schaft gebracht hat­te: der Lebens­kunst. Die sophía, um derent­wil­len die ers­ten Phi­lo­so­phen ihre theo­ría prak­ti­zier­ten, war genau das: die Meis­ter­schaft des Lebens, die Fer­tig­keit, ein gutes Leben zu füh­ren. So wird erkenn­bar, was – grie­chisch gedacht – das ursprüng­li­che und eigent­li­che Pro­jekt der Phi­lo­so­phie ist: das geis­ti-ge Durch­drin­gen der Phä­no­me­ne die­ser Welt, um aus dem Ver­ste­hen der Wirk­lich­keit das Maß und die Regeln her­zu­lei­ten, die es einem Men­schen ermög­li­chen, ange­mes­sen, sinn­voll und gut zu leben.

Θhink Greek! Denn, das Ältes­te ist zuwei­len das Frischste.

Herz­lich, Christoph

(ver­öf­fent­licht in der Zeit­schrift „Aben­teu­er Phi­lo­so­phie”)